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Shuntaro Hida (geb. 1917)

Für den ehemaligen Militärarzt Shuntaro Hida bedeutete die Atombombe den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Während er sich nach der vollständigen Zerstörung der Stadt um die unzähligen Verletzten und Sterbenden kümmern musste, festigte sich sein Widerstand gegen den Krieg, und dieses tiefgreifende Erlebnis führte dazu, dass er seither sein ganzes Leben den Opfern der Atombombe gewidmet hat.

Shuntaro Hida

Um die Hibakusha, wie die Atombombenopfer in Japan genannt werden, in ihren körperlichen und psychischen Leiden besser unterstützen zu können, gründete Dr. Hida 1978 ein Spital in der Nähe von Tokyo. Bis er 92 Jahre alt wurde, war er dort Klinikdirektor und behandelte fast ausschliesslich Atombombenopfer und deren Kinder und Enkelkinder, die aus ganz Japan zu ihm angereist kamen. Dadurch eignete er sich ein grosses Wissen über die Symptome der inneren Verstrahlung an.

Die Gesundheitsschäden, die durch das Einatmen und Einnehmen von kleinsten radioaktiven Partikeln zustande kommen, werden weithin massiv unterschätzt, sagt Shuntaro Hida, was unter anderem auf die strenge Zensur zurückzuführen sei, die nach dem Krieg von der US-Besatzungsmacht in Japan eingeführt wurde. Denn in Japan sei es bis 1952 verboten gewesen, Artikel über die Atombombe und deren Auswirkungen zu publizieren:

“Wir durften die Kranken zwar behandeln, nicht aber ihre Symptome erforschen. Deshalb fand ich erst sehr viel später die Ursachen für die Leiden meiner Patienten heraus.”

Im Laufe seines Lebens sah sich Dr. Hida immer wieder damit konfrontiert, dass die Zensur der Amerikaner noch lange nach 1952 und sogar bis heute weiterwirkt. Als Vorsitzender der landesweiten Atombombenopfervereinigung erklärte er 1975 vor der UNO, dass es immer noch sehr viele Menschen in Japan gäbe, die an den Folgen der Atombombe litten und dass die japanischen Ärzte ihnen nicht helfen könnten. Er forderte, dass Spezialisten aus der ganzen Welt nach Japan geschickt werden, um zu helfen. Sein Anliegen wurde abgelehnt mit der Begründung, dass ein sieben Jahre zuvor von den Regierungen Japans und der USA gemeinsam vorgelegter Bericht besage, dass alle Menschen, die aufgrund der Atombombe erkrankt waren, bereits gestorben seien und dass es daher keine Opfer mehr gäbe. Erst nachdem Shuntaro Hida zwei Jahre später mit Zehntausenden von Krankenberichten zur UNO zurückkehrte, wurde die Legitimität der Strahlenopfer anerkannt und darüber hinaus die offizielle Zahl der Todesopfer von vormals 64’000 auf 140’000 erhöht.

Nach Ansicht von Dr. Hida ist es vor allem die von der US-Atomenergiebehörde gesponserte Atomic Bomb Casualty Comission (ABCC), durch die die Amerikaner die Fakten systematisch zu verharmlosen und zu vertuschen gewusst haben. Es handelt sich dabei um eine Forschungseinrichtung, die 1947 von den Amerikanern in Hiroshima gegründet wurde und die seit 1975 unter dem neuen Namen Radiation Effects Research Foundation (RERF) von Japanern in Zusammenarbeit mit Amerikanern weitergeführt wird: “Heute herrscht der weltweite Konsens, dass das Wissen über die Auswirkungen der Radioaktivität auf den Erfahrungen der Hibakushas von Hiroshima und Nagasaki beruhen. Die zulässige Menge an Radioaktivität, bevor sie toxisch wird, dieser Grenzwert, der die Norm auf der ganzen Welt ist, wird immer noch vom RERF bestimmt. Sie sind so anerkannt, dass sogar, wenn man sagt, dass alle ihre Informationen falsch sind, sie immer im Recht bleiben werden.” Laut Dr. Hida hat diese Institution ihre Studien beispielsweise auf Kontrollgruppen abgestützt, deren Mitglieder schwache Strahlung abbekommen hatten und daher eigentlich keine Vergleichsbasis bilden konnten. Auf diese und andere Weisen seien Resultate produziert worden, durch die die Auswirkungen der Radioaktivität verharmlost wurden.

Daran habe sich bis heute nichts geändert, aber Dr. Hida sieht es als seine Aufgabe an, bis zu seinem Lebensende dagegen anzukämpfen. Als letzter heute noch lebender Arzt, der den Atombombenabwurf auf Hiroshima erlebt hat und wie kein anderer über Jahrzehnte hinweg die Folgen der radioaktiven Verstrahlung auf die Lebens- und Leidensgeschichten von Tausenden von Menschen beobachtet und zu behandeln versucht hat, ist er nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein sehr gefragter Mann in Japan. Trotz seines hohen Alters reist er an Veranstaltungen, um Vorträge zu halten und Fragen der besorgten Bevölkerung zu beantworten. Seine Bücher über die Auswirkungen der inneren Verstrahlung werden plötzlich von renommierten Verlagshäusern herausgegeben, und er wird sowohl von grossen Tageszeitungen als auch von Vertretern kleiner Bürgerorganisationen interviewt.

Was Shuntaro Hida bereits vor dem Reaktorunfall von Fukushima gesagt hat, wirkt aus der heutigen Sicht geradezu prophetisch:

“Bezüglich der Abschaffung von nuklearen Waffen sagen gewisse Leute: Nie wieder Hiroshima und Nagasaki. Ich finde das altmodisch. Die nukleare Technologie ist viel weiter gegangen als das. Die Zukunft wird viel schwieriger werden. Das will ich denen sagen. Die Welt könnte sehr furchteinflössend werden und es wird viel schwieriger werden, auf dieser Erde zu leben. Auch wenn gewisse Leute mir sagen, ich sei altmodisch, werde ich auf die gleiche Weise weiterkämpfen wie bisher. Unermüdlich und so lange, bis ich sterbe.”

Shuntaro Hida