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Meine Grosseltern
Shigeru Doi (1914-1991) und Kiyomi Doi (1926-2013)

Shigeru Doi

Mein Grossvater, Shigeru Doi, studierte Medizin in der damals von Japan besetzten koreanischen Hauptstadt Seoul. Nach seiner Rückkehr nach Japan trat er eine Stelle als Arzt der inneren Medizin im Rotkreuzspital von Hiroshima an und heiratete meine damals 12 Jahre jüngere Grossmutter.

Meine Grosseltern lebten zusammen in Hiroshima, doch als gegen Ende des Krieges das Leben in der Stadt immer gefährlicher wurde, zogen sie ins Elternhaus meines Grossvaters auf dem Land, von wo aus mein Grossvater mit der Eisenbahn zur Arbeit pendelte. In diesem Haus kam im Mai 1945 meine Mutter Mioko zur Welt. Mein Grossvater war damals dreissig, meine Grossmutter achtzehn Jahre alt. Als mein Grossvater am 6. August 1945 wie jeden Montagmorgen mit dem Zug zur Arbeit fuhr, fand er eine Stadt vor, die nicht mehr dieselbe war. Über seine Zeit im verwüsteten Hiroshima hat aber niemand in unserer Familie jemals etwas von ihm erfahren.

Vier Jahre nach Kriegsende zogen meine Grosseltern nach Hiroshima zurück. In den ersten Jahren nach dem Krieg brachte meine Grossmutter zwei weitere Kinder, ihren Sohn Yoshiya und ihre Tochter Kaoko, zur Welt. 1951 eröffnete mein Grossvater seine eigene Praxis, wo er, assistiert von einer Krankenschwester und meiner Grossmutter, bis 1971 arbeitete. Während dieser Zeit behandelte er auch viele Atombombenopfer. Dann erkrankte er plötzlich an einer akuten Leberentzündung und erlitt in der Folge mehrere Hirnschläge. Die nächsten zwanzig Jahre bis zu seinem Tod verbrachte er halbseitig gelähmt im Rollstuhl und wurde von meiner Grossmutter gepflegt.

Gedichte

Eine grosse Leidenschaft meines Grossvaters war das Schreiben von Tanka, von traditionellen japanischen Kurzgedichten. Er hat sehr viele solcher Tankas geschrieben, kein einziges aber über die Atombombe. Als ich meine Grossmutter danach fragte, antwortete sie:

“In seinen Tanka kommt die Atombombe nicht vor. Es gibt viele Tankas über die Soldaten, die vom Militärspital zum Rotkreuzspital geschickt wurden und die er behandeln musste. Er hat auch witzige geschrieben. Dein Grossvater hatte viel Humor und literarisches Talent, aber er war auch jemand, der seine Gefühle nicht so sehr zeigte. Über seine schlimmen Erfahrungen hat er nicht mit uns gesprochen.”

Da meine Grossmutter sehr früh geheiratet und Kinder bekommen hatte, hatte sie sich nie um ihre eigenen Interessen kümmern können. Und nach dem Selbständigwerden ihrer Kinder fesselte die schwere Krankheit ihres Mannes sie weitere zwanzig Jahre ans Haus. Als mein Grossvater 1991 starb, begann für sie daher eine neue Zeit, eine Zeit der “Blüte”, wie sie es rückblickend beschreibt. Nun konnte sie zum ersten Mal tun und lassen, was sie wollte. Sie unternahm viele Reisen im In- und Ausland und ging ihren Hobbies nach. Doch nach zehn Jahren wurde auch sie vom Schicksal eingeholt: Eine Blutung in ihrer Halswirbelsäule führte zur halbseitigen Lähmung und zu einem Leben im Rollstuhl. 2010 erkrankte sie an Krebs und verstarb einen Monat nach den letzten Dreharbeiten im Oktober 2013.

Kiyomi Doi