Als die Sonne vom Himmel fiel

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Anmerkungen der Regie

Meine Suche nach der Vergangenheit meines Grossvaters führte mich durch die Auseinandersetzung mit meinen sehr kritisch denkenden Protagonisten Chizuko Uchida und Shuntaro Hida zur Einsicht, dass in unserer Familie, genauso wie im grössten Teil der japanischen Bevölkerung, die Atombombe verdrängt worden ist. Nicht nur hat mein Grossvater Zeit seines Lebens geschwiegen, auch hat ihm meine Familie praktisch keine Fragen gestellt und seine Krankheit nie mit der Verstrahlung in Verbindung gebracht, der er in Hiroshima ausgesetzt war.
Dass nicht nur mein Grossvater, sondern sehr viele Atombombenopfer geschwiegen haben, hatte unterschiedliche Gründe. Einerseits sass das Trauma bei vielen sehr tief, andererseits gab es während der Zeit der amerikanischen Besatzung ein striktes Verbot, über Einzelheiten der Atombombe und deren Auswirkungen zu sprechen. Und aus Angst vor gesellschaftlicher Diskriminierung verschwiegen viele, dass sie in Hiroshima verstrahlt worden waren. Zu gross war das Risiko, weder Arbeit noch Heiratspartner finden zu können.
Das politische Klima in den 50er-Jahren war ausserdem sehr ungünstig für die Enthüllung atomkritischer Tatsachen. Die Amerikaner führten zu dieser Zeit einen Atombombentest nach dem anderen durch und propagierten die “friedliche Nutzung” der Kernenergie. Jede Information über die destruktiven Seiten dieser Technologie stand ihnen dabei im Weg. Und die japanische Regierung folgte diesem Kurs.
Das Schweigen in meiner Familie führte mich also auf die Spur von grösseren, gesellschaftlichen und politischen Verdrängungsprozessen, die zu den zentralen Themen des Films geworden sind.

Als ich im Jahr 2010 mit meinen ersten Recherchen begann, konnte ich noch nicht ahnen, dass mich ein Jahr später die Atomkatastrophe von Fukushima in die Gegenwart zurückreissen würde. Doch das Unvorstellbare geschah, und es wurde für mich vor allem eines auf erschreckende Weise deutlich: Das Schweigen wiederholt sich nach Fukushima. Gesellschaft und Politik bauen auch heute darauf auf, dass die Menschen vorwärts schauen und Unangenehmes vergessen wollen. Zu wichtig ist die Atomindustrie in Japan, zu wenig können sich die Menschen eine radikale Wende vorstellen.

Zunächst war ich aber noch voller Hoffnung. Nach der Reaktorkatastrophe gingen Tausende von Menschen auf die Strassen und demonstrierten gegen die Wiederaufschaltung der stillgelegten AKWs. Fukushima würde, so dachte nicht nur ich, den Menschen endlich die Augen öffnen und zu grossen Veränderungen führen.
Doch auch wenn viele auf die Strassen gingen und siebzig Prozent der Bevölkerung in Umfragen angab, für den Atomausstieg zu sein, war er im Alltag bald kein Thema mehr. Und heute, fast fünf Jahre nach Fukushima, berichten die Medien kaum noch von der havarierten Atomanlage, und dies, obwohl immer noch täglich verstrahltes Wasser ins Meer fliesst.

Während kurz nach Fukushima in Japan der Atomausstieg beschlossen wurde, so ist die Regierung von Premierminister Abe nun auf ganz entgegengesetztem Kurs. Der erste Reaktor wurde wieder in Betrieb genommen und die Trümmer des verstrahlten Tsunamischutts wurden trotz massiver Proteste im ganzen Land verteilt und in schlecht ausgerüsteten Kehrichtverbrennungsanlagen ohne geeignete Partikelfilter verbrannt. Derweil leben noch immer fast 100’000 Flüchtlinge der Reaktorkatastrophe in provisorischen Notbehausungen. Wenn bis 2018 die Kompensationszahlungen auslaufen, dann werden sich viele von ihnen aus finanziellen Gründen gezwungen sehen, in Gebiete zurückzukehren, die von der Regierung zwar freigegeben wurden, aber immer noch verstrahlt sind.

Auch wenn diese Entwicklungen viele Japaner und auch mich pessimistisch stimmen, ist es wichtig, nicht aufzugeben. So wie die Protagonisten meines Films, die es sich seit Hiroshima allen Wiederständen zum Trotz zur Aufgabe gemacht haben, aktiv gegen das Verschweigen und für die Rechte der Opfer zu kämpfen.
Ich bin sehr berührt von ihrer grossen Kraft, und auch von der Leichtigkeit und Unverbissenheit mit der sie ihr Ziel verfolgen. In der Begegnung mit ihnen wurde mir klar, dass ihr ursächlichster Antrieb die grosse Liebe zum Leben ist. Nichts charakterisiert Chizuko Uchida so treffend wie ihr Satz, dass sie mit ihren bescheidenen Mitteln jedes noch so kleine Leben beschützen möchte. Im Gegensatz zur Politik, die das Land mit grosser Macht und militärischer Stärke beschützen will. Und Shuntaro Hida erwähnte einmal, wie “jeder noch so edle Mensch mit noch so hochstehenden Gedanken in Hirohshima wie ein Insekt vernichtet wurde”. Seit er dies gesehen habe, wisse er, wie sehr das Leben vor allem anderem geschätzt werden müsse und dass er für den Schutz und Erhalt des Menschenlebens kämpfen werde, so lange ihn die Füsse tragen. Chizuko Uchida und Shuntaro Hida sind Menschen mit grosser Zivilcourage, die mich zutiefst beeindrucken.